Ausbildung, Studium – oder Absturz?

Perspek­tiven von Herrn Wobito, Herrn Zokaie, Dr. Leppek und Muhammed aus der E‑Phase (11. Klasse) auf eine zentrale Frage der Schul­lauf­bahn: Wie geht es nach der Schule weiter – Ausbil­dung, Studium oder gefühlter Absturz?

Die Frage nach einer weiter­füh­renden Ausbil­dung entscheidet sich oft formal in der 10. Klasse. Ob eine Berufs­aus­bil­dung oder ein Studium die bessere Wahl ist, merkt man aber meist erst viel später. Fast ein Drittel der Auszu­bil­denden hat heute eine (Fach-)Hochschulreife, in manchen Berufen stellen Abiturient*innen die Mehrheit. Gleich­zeitig wirkt das Studium immer noch wie der vermeint­liche „Königsweg“. Dr. Leppek betont, wie grund­le­gend diese Entschei­dung ist: Wichtig sei, „zu gucken, wo die eigenen Poten­ziale und Talente liegen, und mit dem, was man kann, weiter­zu­ar­beiten“ – statt einfach nur eine nahe­lie­gende Option zu wählen.

Was bewegt uns in so einer folgen­schweren Entschei­dung? Was ist „die richtige“ Wahl? Klar ist: Für Herrn Wobito, der selbst nach der 11. Klasse rausging, arbeitete, eine Ausbil­dung machte und erst später wieder zur Schule zurück­kehrte, ist eine Ausbil­dung kein Plan B für Geschei­terte, sondern ein voll­wer­tiger Weg. Brisant wird die Frage „Ausbil­dung oder Studium?“ vor allem in einem System, das permanent sortiert, vergleicht und bewertet – und genau das kriti­siert Herr Wobito scharf: „Noten abschaffen. Das ist das Einzige, was aus meiner Sicht Sinn machen würde.“ Für ihn hängen viele falsche Entschei­dungen daran, dass Schüler*innen sich mehr nach Ziffern richten als nach ihren tatsäch­li­chen Möglich­keiten und Inter­essen.

Unterschiede in Aufbau und Alltag

Ein Bachelor-Studium dauert in der Regel drei bis vier Jahre, oft auch länger, ein anschlie­ßender Master noch einmal rund zwei Jahre. Eine duale Ausbil­dung geht meist zwei bis drei­ein­halb Jahre; für Abiturient*innen lässt sie sich oft verkürzen.

Studium bedeutet: Vorle­sungen, Seminare, viel Selbst­stu­dium – und relativ freie Zeit­ein­tei­lung, mit der man auch gnadenlos unter­gehen kann. Ausbil­dung heißt: dual – Betrieb und Berufs­schule – mit festen Arbeits­zeiten, gere­geltem Urlaub, klaren Aufgaben, regel­mä­ßigen Rück­mel­dungen.

Dr. Leppek beschreibt, wie ihn gerade das Handfeste anzieht: Nach stun­den­langem Schreib­tisch­denken Flie­sen­kleber anrühren, Fliesen legen, am Ende vor etwas Sicht­barem stehen. Dieser Praxis­bezug fehlt vielen im schu­li­schen Lernen.

Heißt das: Praxis gut, Theorie schlecht? Herr Wobito kriti­siert eher die Art, wie Schule funk­tio­niert – „Bulimie-Lernen“, Stoff rein, Klausur, raus –, als das Lernen an sich. Im Studium, sagt er, hat man immerhin die Chance, ein Fach zu wählen, das einen wirklich inter­es­siert, statt nur immer Neues „aufge­drückt“ zu bekommen.

Muhammed erlebt die Kehrseite: „Zu viele Optionen“, sagt er sinngemäß – und trotzdem das Gefühl, nicht zu wissen, was wirklich gut für ihn ist. Ihm ist wichtiger, zu lernen, wie man mit Geld und Leben umgeht, als einfach nur viel zu verdienen. Freiheit ist schön, aber sie erzeugt Druck.

Freiheit, Struktur und Privileg

Freiheit oder Struktur – das ist nicht nur eine Geschmacks­frage, sondern oft auch eine Frage von Herkunft und Privileg. Wer aus einem Eltern­haus mit Bildungs­tra­di­tion kommt, bekommt entweder einen durch­ge­planten Weg oder „Luxus-Frei­heiten“. Andere tragen früh Verant­wor­tung und haben weniger Raum zum Auspro­bieren.

Statt Freiheit gegen Struktur auszu­spielen, hilft ein anderer Blick: Beide sind nur verschie­dene Pfade von Möglich­keiten. Der Capa­bi­li­ties-Ansatz der ameri­ka­ni­schen Philo­so­phin Martha Nussbaum dreht die Frage um: Nicht „Was musst du?“, sondern „Welche echten Möglich­keiten eröffnen dir deine Wege?“. Türen offen­halten ist wichtiger als sich an einer perfekten, geraden Linie fest­zu­beißen.

Praxis vs. Theorie – und warum beides dazugehört

In der Ausbil­dung steht prak­ti­sches Lernen im Zentrum: Man arbeitet im Betrieb, sieht Ergeb­nisse, bekommt direktes Feedback, und „Was wird man damit?“ ist von Anfang an klar.

Im Studium domi­nieren Theorie, Texte, Modelle, Forschung. Viele Studi­en­gänge führen nicht auto­ma­tisch in einen Beruf, sondern öffnen eher ein Feld. Das nervt, wenn man schnelle Antworten will, ist aber auch eine Chance: Man kann sich breiter orien­tieren.

Für Dr. Leppek ist genau das der Punkt: Es gibt mehr spannende Möglich­keiten, als ein Leben hergibt. Man könne nicht alles machen, also muss man entscheiden, worauf man seine begrenzte Lebens­zeit verwendet – und am Ende geht es darum, „mit dem, was man tut, glücklich zu werden“. Praxis, Theorie, Umwege – alles Teile dieser Suche.

Die Qual der Wahl: Probieren statt Perfektion

Wenn man Lehr­kräfte und Schüler fragt, kommt fast immer dieselbe Empfeh­lung: „Auspro­bieren, rausgehen, Neues tun!“ – nicht als roman­ti­sche Abenteuer-Formel, sondern als radikale Absage an das Warten auf den perfekten Plan. Dr. Leppek würde sagen: Talente ernst nehmen, verschie­dene Wege anfassen, und dann konse­quent in dem weiter­ma­chen, was zu einem passt – statt sich von einer Note oder einem einzigen Miss­erfolg defi­nieren zu lassen.

Viele zögern trotzdem – aus Angst, überholt zu werden oder „falsch“ abzu­biegen. Herr Wobito kriti­siert genau diese Leis­tungs­ge­sell­schaft, in der man nur etwas gilt, wenn man liefert und funk­tio­niert.

Und Herr Zokaie setzt dem eine andere Logik entgegen: Man könne im Leben gar nicht wirklich „überholt“ werden, weil jeder eigene Ziele hat – die man oft selbst noch gar nicht genau kennt. Es gibt kein Rennen, in dem alle gleich­zeitig durchs gleiche Ziel müssen. Sein persön­li­cher Maßstab ist härter und ehrlicher: „Ich habe die persön­liche Verpflich­tung, mein eigenes Potenzial zum Maximum auszu­nutzen. Wenn ich etwas tun kann, dann sollte ich es tun.“

Schule und das Leben selbst wird so zum Übungs­raum: Inter­essen testen, Grenzen spüren, Möglich­keiten sehen. Nicht alles wird klappen. Aber Nicht-Handeln aus Angst ist der einzige echte Verlust.

Zurück zur Frage: Ausbildung, Studium – oder doch Absturz?

Eine Ausbil­dung heißt: Bewerbung, Auswahl­ver­fahren, Arbeits­alltag, frühe Verant­wor­tung – aber auch frühe Erfolgs­er­leb­nisse und sichtbare Aner­ken­nung.

Ein Studium heißt: Selbst­or­ga­ni­sa­tion, viel Stoff, wenig Kontrolle von außen, hohes Tempo – und die Freiheit, sich auch zu irren. Für Herrn Zokaie ist es völlig legitim, ein Studium anzu­fangen, abzu­bre­chen, etwas anderes auszu­pro­bieren und erst nach Umwegen zu merken, was wirklich passt – solange man am Ende mit seinem Leben zufrieden ist, nicht nur mit seinem Lebens­lauf.

Der eigene Weg von Herrn Wobito zeigt, wie durch­lässig das System sein kann: Gymnasium verlassen, Ausbil­dung, Arbeit – und später zurück zur Schule, Abitur nachholen, Lehr­amts­stu­dium. Der Satz „Du musst dich mit Klasse 10 endgültig entschieden haben“ ist vor diesem Hinter­grund nicht nur falsch, sondern gefähr­lich.

Ja, es ist Typsache. Wer gerne praktisch arbeitet, im Team Verant­wor­tung übernimmt und früh eigenes Geld verdienen will, findet sich oft in einer Ausbil­dung. Wer Lust auf Theorie, wissen­schaft­li­ches Arbeiten und intel­lek­tu­elle Heraus­for­de­rungen hat, eher im Studium. Und für manche ist ein duales Studium der passende Mittelweg.

Muhammed formu­liert ein bekanntes Ziel hinter all dem ziemlich klar: ein Leben, in dem Geld kein Dauer­pro­blem ist, man aber auch nicht sein ganzes Dasein für maximalen Reichtum verkauft – ein Beruf, der dieses Leben möglich macht.

Und jetzt?

Egal, ob du auf Ausbil­dung oder Studium zusteu­erst:

  • Informier dich gründlich – nicht nur über Webseiten und Broschüren, sondern im Gespräch mit Menschen, die diesen Weg wirklich gehen.
  • Nimm deine Inter­essen und Fähig­keiten ernst und richte deine Entschei­dung an ihnen aus.
  • Hab den Mut, einen Weg zu wechseln, wenn er sich als Sackgasse anfühlt.

Deine Entschei­dungen sind nicht in Stein gemeißelt. Wichtig ist, dass sie zu deinem jetzigen Ich passen – und dass du bereit bist, unterwegs dazu­zu­lernen. Kein Weg ist endgültig falsch; jede Erfahrung schärft dein Bild von dir und der Welt.

Am Ende bleibt ein Satz, den man aus all den Gesprä­chen filtern kann – vor allem aus der Haltung von Dr. Leppek:
Du musst nicht perfekt werden. Aber du musst versuchen, mit dem, was du tust, glücklich zu werden – und zwar aktiv.

von
Lenny Kranjec

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