Drei Märchen, drei Welten – Märchen aus der 5e

Zum Start ins Schuljahr haben wir uns in der 5e im Deutsch­un­ter­richt als erstes Thema mit der Welt der Märchen beschäf­tigt. Nachdem wir typische Merkmale, Figuren und Erzähl­struk­turen kennen­ge­lernt hatten, durften die Schü­le­rinnen und Schüler selbst kreativ werden und eigene Märchen schreiben. Die Wahl für die Schü­ler­zei­tung fiel uns dabei alles andere als leicht. Schließ­lich haben wir uns klas­sen­in­tern auf drei Märchen geeinigt, die wir heute präsen­tieren. Viel Freude beim Lesen und beim Eintau­chen in fantas­ti­sche Welten!

Der Zauberwald

von Gabriel Battaglin

Es war einmal vor langer Zeit, da lebten drei Brüder mit ihrem Vater in einer Hütte am Waldrand. Jeder der Brüder trug eine Kette mit einem kleinen Stein als Glücks­bringer um den Hals. Die Ketten hatten sie von ihrer Mutter bekommen, bevor sie sie verlassen hatte. Ihr Vater warnte sie immer wieder:
„Geht niemals in den Wald! Dort lauert die Gefahr.“

Doch eines Tages wollten die großen Brüder ein Abenteuer erleben und gingen trotzdem in den Wald. Der kleine Bruder hatte zu viel Angst, um mitzu­kommen, und blieb zurück. Als die zwei Brüder ungefähr drei Kilometer gelaufen waren, wurde ihnen klar, dass sie sich verlaufen hatten. Sie bekamen Durst und brauchten eine Pause, als uner­wartet eine alte Dame auf sie zukam. Sie fragte die beiden, was sie dort machten, und die Brüder antwor­teten: „Wir haben uns verlaufen und sind sehr durstig.“

Die Dame sagte: „Ich führe euch zu einem Brunnen, kommt mit!“ Die Brüder folgten ihr und landeten schließ­lich in einem braunen, tristen Haus – der Brunnen exis­tierte nicht. Kurz darauf verwan­delte die alte Dame sich in eine Hexe. Sie tränkte beide mit einem Zauber­trank und verwan­delte sie in Rehe. Da wurde den Jungen klar, dass es die böse Hexe war.

Es wurde dunkel, und die großen Brüder kehrten nicht nach Hause zurück. Der Jüngste machte sich große Sorgen, nahm all seinen Mut zusammen und ging in den Wald, um sie zu suchen. Lange Zeit suchte er ohne Erfolg. Es war finster und gruselig, aber er gab nicht auf. Tiere aller Art begeg­neten ihm und warnten ihn vor der bösen Hexe. Trotzdem ging er immer weiter.

Als er schon die Hoffnung verloren hatte, näherten sich ihm zwei Rehe. Er fragte sie, ob sie seine Brüder gesehen hatten, doch sie antwor­teten nicht. Sie folgten ihm aber, als er weiter­ging. Im Licht des Mondes sah er plötzlich, dass jedes Reh eine Kette mit einem Stein um den Hals trug. Über­rascht wurde ihm klar, dass dies seine Brüder sein mussten. Er fragte sie danach und sie nickten mit ihren Köpfen.
„Ich werde euch retten!“, rief er entschlossen.

Leider wusste er nicht, wie er den Fluch brechen konnte. Da flog eine Eule auf den Baum neben ihm und sprach:
„Weil du so mutig und gutherzig bist, erfülle ich dir einen Wunsch.“
Ohne zu zögern wünschte sich der Junge, dass seine Brüder wieder verwan­delt würden.

Im selben Moment standen sie zurück­ver­wan­delt neben ihm. Alle drei gingen glücklich nach Hause. Obwohl sie keinen Ärger bekamen, gingen sie nie wieder in den Wald.

Das rechnende Pferd

von Mattea Verardo

Es war einmal ein Junge, der hatte keine Freunde. Wie schon seit einem halben Jahr, nachdem Lukas in die Schule gekommen war, saß er auf einer Bank auf dem Schulhof und aß sein Pausen­brot. Um ihn herum rannten die Kinder, doch niemand wollte etwas mit ihm machen.

Auf einmal fuhr ein Pferde-Trans­porter auf den Hof und parkte direkt neben der Bank, auf der Lukas saß. Natürlich! Das neue Schul­hof­pferd! Nachdem das alte gestorben war, hatte die Direk­torin darauf bestanden, dass die Schule ein neues bekam.

Es klingelte, und Lukas beeilte sich, in die Klasse zu kommen. Doch mitten in der Mathe­stunde klopfte es und die Direk­torin kam herein – und hinter ihr das Pferd! Lukas hörte nur mit halbem Ohr zu, als die Direk­torin sagte, dass das Pferd für die ganze Woche in der Klasse bleiben würde. Er war viel eher auf das Pferd konzen­triert, das irgendwie anders als normale Pferde aussah.

Lukas bemerkte nicht, wie die Direk­torin hinaus­ge­gangen war, und erschrak erst, als die Lehrerin sagte:
„Lukas, würdest du mir bitte sagen, was 4 + 5 ist?“

Bevor Lukas den Mund öffnen konnte, stampfte das Pferd neunmal. Lukas blieb vor offenem Mund stehen – denn das Ergebnis war neun! Auch bei den anderen Aufgaben stampfte das Pferd immer die richtige Lösung. Den ganzen Tag über verfolgte das Pferd Lukas in seinen Gedanken. Und als er abends im Bett lag, dachte er noch an nichts anderes.

Da erschien das Pferd ihm im Traum und verwan­delte sich in einen Jungen in seinem Alter.
„Du musst mir helfen!“, sagte er. „Ein böser Zauberer hat mich in ein Pferd verwan­delt! Du musst mir das Arun­gis­kraut bringen, dann kann ich mich zurück­ver­wan­deln. Es wächst in einer Höhle am Waldrand, aber du musst aufpassen, denn ein böser Drache bewacht den Eingang.“

„Wenn du mir helfen willst, wirst du morgen früh einen Ring unter deinem Kopf­kissen finden. Er wird dich zur Höhle bringen und wieder zurück – und er wird dich unsichtbar machen!“
Damit verschwand der Junge, und Lukas wachte zitternd in seinem Bett auf.

Es war Morgen, und tatsäch­lich fand Lukas einen Ring unter seinem Kopf­kissen. Als er ihn berührte, wurde er von einem merk­wür­digen Licht einge­hüllt und fand sich eine Sekunde später vor einer Höhle wieder. Tatsäch­lich schlief ein riesiger Drache davor. Lukas schlich sich so leise wie möglich an ihm vorbei.

Im hinteren Teil der Höhle entdeckte er ein rotes Kraut. Er lief hin, riss einen Zweig ab und rannte hinaus – doch der Drache hatte etwas bemerkt! Er stürzte schreiend hinter Lukas her, aber als der Drache nach ihm schnappte, erwischte er nur Luft – Lukas war unsichtbar!

Im letzten Moment berührte Lukas den Ring und fand sich in seinem Zimmer wieder. Neben ihm stand das Pferd. Lukas sprang auf und brachte dem Jungen das Kraut und dieser verwan­delte sich zurück. Er war der Junge aus dem Traum.

Die beiden wurden beste Freunde, und Lukas musste nie wieder alleine sein Pausen­brot essen.

Die Sternsammlerin und das Mädchen ohne Namen

von Bethany Tedi

Es war einmal eine junge Frau namens Tina, die hoch in den Bergen lebte. Sie war eine Stern­samm­lerin: Jede Nacht stieg sie auf alle Gipfel und fing mit ihrem silbernen Netz das Licht der Sterne ein, um es den Menschen im Tal zu bringen. Ohne dieses Licht wären ihre Lampen dunkel geblieben und die Dörfer in Fins­ternis versunken.

Eines Abends hörte Tina auf dem Rückweg von ihrer Wanderung ein schwaches Wimmern. Zwischen den Wurzeln einer alten Eiche fand sie ein kleines Mädchen, allein und zitternd, in Lumpen gekleidet. Seine Augen blickten groß und leer, und es konnte nicht einmal seinen Namen sagen.

Tina nahm das Kind mit in ihre Hütte, gab ihm Suppe und wärmte es am Herdfeuer.
„Du wirst nicht länger namenlos sein“, sprach sie. „Bis wir deinen wahren Namen finden, sollst du bei mir bleiben.“

Doch kaum war das Mädchen einge­schlafen, verdun­kelte sich der Himmel. Ein kalter Wind fegte durch die Hütte. Eine schwarze Gestalt trat aus der Fins­ternis: Morwen, die Schat­ten­kö­nigin.

Ihr Mantel war aus Raben­fe­dern gewebt, ihre Augen funkelten rot wie glühende Kohlen.
„Das Kind gehört mir“, zischte sie. „Es ist ohne Namen, also ohne Schutz. Solche Seelen sind recht­mäßig mein.“

Tina stellte sich vor das Kind. „Dann nimm lieber mich – das Ster­nen­licht, das ich sammle.“

Morwen lachte, und ihr Lachen hallte wie ein Sturm in den Bergen.
„Ohne mich, ohne meinen Schatten, wirst du kein Licht mehr haben.“

Sie streute dunklen Nebel über das Land, sodass selbst die Sterne am Himmel erloschen.

Am nächsten Abend kletterte Tina trotz allem auf die Gipfel, doch der Himmel blieb leer. Da legte ihr das Mädchen die kleine Hand in die eigene und sprach:
„Wenn das Licht verschwunden ist, dann suchen wir es zusammen.“

Gemeinsam gingen sie tiefer in den Wald als jemals ein Mensch zuvor. Schließ­lich erreichten sie eine Höhle, deren Wände von schwarzen Kris­tallen überzogen waren. In einem Thronsaal aus Dunkel­heit saß Morwen. In einem Käfig hielt sie alle Sterne gefangen – sie glommen nur noch wie müde Funken.

„Willst du sie befreien?“, sprach Morwen. „Dann tritt die Stern­samm­lerin – und verliere dich selbst.“

Tina wusste, dass ihre silbernen Netze hier nutzlos waren. Doch da trat das Mädchen ohne Namen vor, hob den Kopf und sagte klar:
„Ich bin nicht namenlos. Mein Name ist Hoffnung.“

In diesem Moment leuchtete sie selbst auf, als ob ein Stern in ihr erwachte. Das Licht erfüllte den Raum, spiegelte sich in Tinas Augen. Gemeinsam griffen sie nach den Kris­tall­wänden, und das Glühen ließ die Fins­ternis zerbre­chen. Die Höhle brach auf und ein strah­lender Himmel erschien.

Morwen schrie wütend auf, doch gegen das Licht zweier mutiger Herzen hatte sie keine Macht. Sie löste sich in Schatten auf und verschwand.

Von da an lebte das Mädchen bei Tina, und niemand nannte sie je wieder namenlos. Noch heute erzählen die Menschen im Tal, dass in jeder klaren Nacht ein beson­derer Stern der Hoffnung am Himmel steht – der Stern jenes Kindes, das einst der Dunkel­heit trotzte.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

begleitet und betreut von
Sophie Schwinn

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