Ela: Kaum sind die Sommerferien wieder vorbei, beginnt direkt nach vier Wochen die Klausurenphase. Und der Klausurenstress ist enorm. Vor allem bleibt es nicht nur bei den Klausuren, sondern ein Haufen Hausaufgaben muss auch noch erledigt werden. Das ist schon eine Menge.
Herr Wallmeier: Das kann ich mir gut vorstellen. Ich finde auch die Belastung von Schülerinnen und Schülern gerade jetzt zu Beginn und in der Q‑Phase schon enorm.
Ela: Ich habe auch einfach das Gefühl, dass gerade in diesen Phasen die Freizeit sehr zu kurz kommt. Man kann dann manchmal kaum mal richtig durchatmen, so viel muss auf einmal erledigt werden.
Benjamin: Es fehlt einfach sehr viel. Der Sonntagabend ist eigentlich immer für die Schule reserviert. Vor allem, wenn man dann am Montag, Dienstag oder Mittwoch eine Klausur schreibt. Es geht halt sehr viel Zeit verloren.
Ela: Ja, das stimmt. Und wenn man mal dieses System allgemein betrachtet, ist es einfach nur schwierig. Allein schon wie früh wir immer aufstehen müssen. Man gewöhnt sich zwar irgendwann wieder daran, aber es nagt trotzdem manchmal an den Reserven. Vor allem wenn man Ferien hatte, und dann beginnt das Ganze von vorn, man muss wieder reinkommen und irgendwie seinen Rhythmus finden.
Herr Wallmeier: Ja es ist schon früh, das stimmt.
Benjamin: Ja, auf jeden Fall.
Ela: Und was den Klausurenstress angeht – dass wir in der Q‑Phase jetzt in jedem Fach zwei Klausuren schreiben müssen, das ist schon enorm. Ganz ehrlich, man weiß manchmal nicht mehr, was man als nächstes anfangen soll zu lernen und wo man am besten aufhört. Die Fächer verschwimmen gleichermaßen ineinander.
Benjamin: Ja, dem stimme ich zu. Ich finde es aber auf jeden Fall gut, dass wir jetzt in der Q‑Phase so wenige Fächer haben wie noch nie. Es sind aber immer noch zu viele Klausuren, die wir schreiben müssen.
Herr Wallmeier: Ja, das stimmt. Ich bin trotzdem immer überrascht, wie viele Schülerinnen und Schüler nebenher arbeiten. Wie sie das anscheinend trotzdem schaffen, trotz der Anforderungen, die die Schule stellt.
Benjamin: Ja, ich arbeite auch. Und das ist auch eine Verantwortung, die man zusätzlich trägt.
Ela: Ja, man trägt zusätzlich noch eine andere Verantwortung. Und sowas kann sicherlich schon manchmal stressig sein, in diesen Klausurenphasen. Wenn man sich zum Beispiel alternative Schulsysteme anschaut, wie in Finnland, gerade in Hinblick auf die Benotung, läuft das Ganze einfach völlig anders. Es ist tatsächlich so, dass man nicht anhand von Zahlen bewertet wird, sondern auf Grund von Feedbacks, inklusive Verbesserungsvorschlägen. Ich glaube, dass das sogar eine gute Alternative für uns wäre. Bei mir ist es zum Beispiel so, dass ich mich mit bestimmten Fächern sehr gerne auseinandersetzte. Bis dann die Klausuren kommen. Man verliert so den Spaß am Lernen. In solchen Momenten ist es ja nicht so, dass man lernen will, sondern muss; indirekt dazu gezwungen wird.
Benjamin: Es ist zwar einem selbst überlassen, wieviel man macht, aber man unterschätzt, was für eine Belastung das für uns ist. Wir beide zum Beispiel sind jetzt in der Oberstufe und wissen: jede einzelne Klausur zählt für unser Abitur. Rein zeitlich ist das – und muss das vielleicht – nicht aufwendig sein, aber die psychischen Belastungen sind für Viele hoch. Zudem gehören wir auch noch der Corona Generation an. Da hatten wir zwei Jahre lang leider nur sehr spärlichen Unterricht. Und da sind halt noch Lücken.
Herr Wallmeier: Ich finde, da stecken zwei sehr interessante Fragen in dem, was ihr schildert. Die erste Frage ist die nach der Benotung. Sollte es diese geben? Ich bin da selbst auch skeptisch und frage mich, wie gut das funktioniert; ob Notengebung überhaupt so gut ist. Also ich nehme wahr, dass manche Schülerinnen und Schüler ohne Notendruck schwer zu motivieren sind. Das hat vielleicht auch was damit zu tun, dass sie halt immer gewohnt sind für Noten zu lernen. Gleichzeitig nehme ich wahr, dass es – wie Sie erläutern – Situationen gibt, in denen Noten dem Lernen eher im Weg stehen, weil sie dazu führen, dass man in erster Linie für die Klausur lernt. Aber das ist ja eigentlich auch für uns Lehrkräfte nicht das Ziel. Mich interessiert ja an sich nicht, dass Sie gut in der Klausur sind, sondern eigentlich will ich, dass Sie sich als Person entwickeln und Bildung erfahren. Und ich denke, so geht es doch tatsächlich den meisten Lehrenden.
Benjamin: Also stehen wir vor der Frage: Lernen wir für die Schule oder das Leben?
Ela: Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Lehrkräfte diesen Job ausüben, um den Schülerinnen und Schülern bei der Entwicklung zu helfen. Und es stimmt schon, dass wir natürlich nach jeder Klausur, wie letztlich nach jeder Unterrichtstunde, etwas mitnehmen. Nur, brauchen wir dafür diese Klausuren, oder genauer: diese Benotung? Auf der einen Seite steht die Frage: Wie motiviert man sich für Fächer, die man nicht mag, wenn nicht durch Klausuren? Auf der anderen Seite ist zu befürchten, dass es nicht eher zu Demotivation führt.
Herr Wallmeier: Ich finde auch: Motivation ist der eine Punkt, aber besonders wichtig ist doch die Diagnose. Als Lehrkraft muss ich ja immer mal wieder erfahren, ob das, was wir im Unterricht besprochen haben und etwas aus unserer Diskussion im Klassenverband, irgendetwas bei Ihnen bewirkt hat. Wenn man das gar nicht misst, dann bleiben die Entwicklungen zu undeutlich. Und dafür sind Klausuren da, nachzuschauen, wo gab es Wissenszuwachs, wo nicht. Allerdings, auch da kann man sich natürlich fragen, ob Klausuren immer das beste Mittel sind, das zu messen; und ich bin nicht zu 100 Prozent davon überzeugt, dass es so ist. Da bin ich ganz bei Ihnen.
Benjamin: Ich fand immer diese Benotungsart mit einem Drittel schriftlich und zwei Drittel mündlich gut, weil dadurch eine Klausur nicht so absolut relevant wird.
Herr Wallmeier: Ja, das stimmt. Gleichzeitig ist es so, dass hinsichtlich der Mitarbeitsnote bestimmte Schülerinnen und Schüler immer hinten runterfallen, weil sie halt von Natur aus sehr still sind. Es gibt Schülerinnen und Schüler, die sind super schlau, haben aber einfach mit der für den Lehrer wahrnehmbaren Mitarbeit ihre Schwierigkeiten.
Benjamin: Ich sehe auf jeden Fall das Problem.
Ela: Ich auch. Ich finde, es ist sogar ein sehr wichtiger Punkt in diesem Gespräch. Es stimmt, jeder hat seine Stärken und Schwächen. Bei uns beiden zum Beispiel ist es eher so, dass das Mündliche die Stärke und das Schriftliche eher die Schwäche darstellt. Aber ich kenne auch genug andere, bei denen es genau umgekehrt ist, und vielleicht bestünde ja die Möglichkeit, auch wenn das vielleicht noch nicht so konkret umsetzbar ist, dass man dieses Lernsystem individuell an die Schülerinnen und Schüler anpasst.
Herr Wallmeier: Ja, in einer idealen Welt, nicht wahr … Ich zum Beispiel, wenn ich feststelle eine Schülerin oder ein Schüler beteiligt sich nur sehr selten, sage dann zu dieser Person nicht: „Du musst mal mehr im Unterricht sagen“, denn mir ist eigentlich nur wichtig, dass diese Person lernt. Und eine Möglichkeit, zu beurteilen, ob sie etwas gelernt hat, ergibt sich halt aus dem, was sie sagt. Aber eigentlich kann diese Person auch anders zeigen, dass sie etwas gelernt hat. Fragt sich: „Wie kann man das sonst zeigen?“ Das finde ich sehr sinnvoll. Ein gutes Verfahren, wenn man es systematischer machen könnte. Aus meiner Sicht auch besser.
Ela: Stimmt. Gerade was diese ideale Welt betrifft – das sieht im Realen meistens ganz anders aus. Es kommen halt viele Hürden dazu. Es ist ja auch so, dass wir so viele Schülerinnen und Schüler sind, und die Frage ist dann, ob man es schafft, dass jeder einzeln individuell seine Stärken ausleben kann.
Benjamin: Da ist wahrscheinlich sehr schwer bei einer Klasse mit 25 bis 30 Schülerinnen und Schülern.
Herr Wallmeier: Ja, auf jeden Fall.
Ela: Ja, leider. Eine weitere Möglichkeit wäre es vielleicht, statt der Klausuren Hausarbeiten aufzugeben, in denen viel mehr das ganze Können jeder und jedes Einzelnen einfließen könnte. Aber dann ist da wieder die Nutzung von Künstlicher Intelligenz, die dem im Wege steht. Ich glaube, letztendlich kann man dazu nur sagen, dass wir vor diesen zwei Fragen stehen: Ist es überhaupt umsetzbar und kann es überhaupt funktionieren, dass alle zum Lernen motivierte werden, ohne Noten?
Herr Wallmeier: Es gibt auf jeden Fall Experimente, bei denen mit weniger Noten oder ohne Noten gearbeitet wird. Und das finde ich sehr interessant, und das sollten wir beobachten.
Benjamin: Bei uns wird es wahrscheinlich keine Änderungen mehr geben, aber vielleicht für die nächste Generation. Vielleicht haben sie dann ein besseres Schulsystem mit weniger Druck, der auf allen lastet. Am Ende ist das Abi das Entscheidende.
Herr Wallmeier: Ja, und jeder interessiert sich ja für etwas, und man muss versuchen, dieses Interesse zur Bildung zu führen. Und nicht, dass man dieses Interesse abstellt, um dann etwas anderes beizubringen.
Ela: Ja, und unabhängig vom Schulsystem gibt es so viel gesellschaftlichen Druck auf verschiedenen Ebenen. Es ist gesellschaftlich vieles verankert. So wie Stereotypen oder eine bestimmte Vorstellung von Berufen, die bevorzugt werden, oder Vorstellungen von Glück. Das sind einfach Werte, die reformiert werden sollten. Die zu hinterfragen wären. Also wieder die Frage, was es eigentlich bedeutet: glücklich zu sein?
Herr Wallmeier: Ja, ich glaube auch, dass es einerseits noch mehr Möglichkeiten gäbe, die nicht so im Vordergrund stehen, um ein gutes Leben zu führen. Und andererseits werden bestimmte Lebensbedürfnisse systematisch benachteiligt.
Benjamin: Ja, so ist leider unsere Gesellschaft.
Ela: Vielen Dank für das Gespräch!
Benjamin: Vielen Dank!
Herr Wallmeier: Gerne! Ich glaube der Themenkomplex ist vor allem die Frage nach den Noten.
geführt von
Ela Cigirdasman und
Benjamin Lüddecke
PS: Liebe Schülerschaft, das war unser Gespräch mit Herrn Wallmeier. Das Schulsystem ist ein sehr kompliziertes und strittiges Thema. Drei Schlussfolgerungen konnten wir daraus ziehen. Einmal die Frage nach der Benotung und die Frage danach, wie man unseren Lernstand testen kann, und ob das hier wirklich der richtige Weg ist. Was meint ihr, wie sieht euer Verständnis für ein perfektes Schulsystem aus? Was erhofft ihr Euch, was wünscht ihr Euch? Umfragen gibt es in der nächsten Ausgabe. Also bleibt dran!